Die Luft ist nicht gelb
In manchen - vielen - Filmen wird die Luft in Texas und Mexiko ja als sehr gelblich dargestellt. Ich kann zumindest für San Antonio versichern, dass das nicht der Realität entspricht. Generell entsprechen so einige Stereotypen Texas betreffend nicht zu, andere wiederum meiner persönlichen Erfahrung nach sehr. Zum Beispiel tragen die Leute WIRKLICH verhältnismäßig oft und ohne Tiere in Sicht Cowboyhüte. Die Autos sind riesig. Und sehr viele Menschen sind republikanisch gesinnt und tragen Waffen bei sich.
In der vergangenen Woche habe ich einige interessante Erfahrungen gesammelt, von denen ich heute berichten möchte. Die Bilder dazu finden sich weiter oben in etwas ungeordneter Form, aber das macht ja nichts. Letzte Woche bin ich mit einer Schwester ins Autohaus gefahren, weil ich gerade an der Bewerbung für einen Zuschuss für einen neuen Minivan schreibe, der altersgerecht ist. Dort habe ich auch das Bild von dem für Texas-Verhältnisse kleinen roten Auto, das vor der Glasfront steht, aufgenommen. Nach der Besichtigung diverser Minivans und der Erstellung eines Kostenvoranschlags fuhren wir in die San Antonio Shoe Factory, die neben selbst gemachten Schuhen auch Süßigkeiten, Texas-Merch und Cola bzw. Popcorn für 10 Cent verkauft (Preis bezieht sich nur auf die letzten beiden) und Oldtimer ausstellt. Das war auf alle Fälle das Texanischste, was ich bisher gesehen habe. Ich habe einen Texas-Keksausstecher käuflich erworben und einen Cowboyhut aufgesetzt, aber aufgrund seines Preises von $59 im Laden gelassen.
Am Sonntag war ich mit ein paar Schwestern zu "Sound of Freedom" im Kino. Der Film thematisiert Menschen- und insbesondere Kinderhandel. Er ist wirklich gut gemacht, aber das Thema ist alles andere als leicht verdaulich und danach brauchten wir alle einen Tag, um das zu verarbeiten. Trotzdem würde ich ihn empfehlen.
In der Schule geht es langsam voran, aber immerhin in die positive Richtung. Ich habe die Rationalen Zahlen eingeführt, inzwischen mussten die Kinder sogar ein Lied darüber schreiben, und jeden Tag muss ich mir anhören, dass meine geschriebene 9 aussieht wie ein g. Tatsächlich sieht es aber mittlerweile besser aus, und ich hoffe, dass wir die Rückstände irgendwie aufholen können. Ich finde es immer noch ziemlich krass, dass die Türen der Klassenzimmer ohne Schlüssel nur von innen zu öffnen sind und dass diese "Keine Waffen"-Schilder überall auf dem Gelände hängen. Heute habe ich die Cafeteria besichtigt und musste leider feststellen, dass dort niemand auf den Tischen tanzt. Alle amerikanischen Schulfilme haben meine Erwartungen diesbezüglich hochgeschraubt, nun musste die Realität mich bitter enttäuschen. (Aber es gibt Cheerleader! Allerdings habe ich sie noch nicht in Aktion gesehen. Viel fehlt aber nicht mehr, weil ich den Kindern in meiner Klasse gerne kreative Extraaufgaben gebe, wenn sie während des Unterrichts ein Talent zeigen. Gestern beispielsweise haben alle, die am Freitag während des Matheunterrichts gesungen haben, ein selbstgedichtetes Lied über Rationale Zahlen vorsingen. Das war definitiv ein Erlebnis.)
Ja, und ansonsten läuft die Arbeit im Büro auch sehr gut. Ich schreibe sehr viele Bewerbungen um sehr viel Geld und hoffe auf sehr viel positive Resonanz. Es ist immer ein schönes Gefühl, eine langwierige Bewerbung endlich abzuschicken und dann auf die Antwort zu warten. Abends spaziere ich jetzt immer mit ein paar Schwestern ums Haus und wir führen amüsante und lehrreiche Gespräche. Manchmal sind sie auch ein bisschen überraschend, gestern beispielsweise wurde ich gefragt, ob Hitler in der deutschen Geschichtsschreibung eigentlich als gut oder böse dargestellt wird. Ich finde es erschreckend, wie viele Leute tatsächlich glauben, dass die Geschichte nicht ansatzweise aufgearbeitet wurde, oh, Moment, auf einige trifft das ja tatsächlich zu, aber im Rahmen fand ich den schulischen Geschichtsunterricht in Deutschland dazu doch sehr eindeutig. Aber diese Frage habe ich im Laufe meines Lebens nicht nur in den USA gestellt bekommen, sondern auch in Polen oder Frankreich. Wir haben uns dann auch über die Geschichtsschreibung der USA unterhalten, die ich als Außenstehende nun doch deutlich subjektiv gefärbter empfinde als die Deutsche, gerade, was nicht so schöne Kapitel angeht. Tatsächlich ist es aber so, dass das Schulsystem nicht sonderlich viel Kritisches über die Geschichte der Vereinigten Staaten lehrt, deshalb ist es auch kein Wunder, dass viele Leute hier denken, sie seien das beste Land der Welt. Es ist eine komplizierte Angelegenheit. Irgendwann werde ich noch expliziter darüber schreiben, vielleicht, nachdem ich noch länger hier war und mehr gehört und gesehen habe.
Gestern habe ich den Zenit meines Aufenthaltes hier erreicht. Es fühlt sich noch gar nicht so lange an - aber ich musste ja auch eine Woche in Corona-Isolation verbringen. Die nächste Woche, die ich nicht im Büro sein werde, deutet sich abwechslungsreicher an: im September fliege ich für eine Woche nach Los Angeles, um verschiedene Sponsoren zu besuchen und Kontakte zu pflegen (das ist hier sehr, sehr wichtig!!) Ich bin gespannt. Hoffentlich gelingt es mir, einen Abstecher nach Rocky Beach zu machen.
So, gleich gibt es Abendessen, ach genau, bei den Muffins auf dem einen Bild handelt es sich um glutenfreie Blaubeer-Zitrone-Muffins, die eine Bäckerei regelmäßig an unser Konvent spendet - zusammen mit dutzenden weiteren Gebäcksorten. Mein Magen ist sehr erfreut!
Bis denne,
Weronika
Kommentare
Kommentar veröffentlichen